Resilienz stärken: Weniger bewerten und wieder handlungsfähig werden
- Sandra Sieroux
- 11. März
- 6 Min. Lesezeit

Warum Resilienz gerade jetzt entscheidend ist
In meinen letzten Gesprächen war ein Thema allgegenwärtig: Überforderung. Wirtschaftliche Unsicherheiten, politische Spannungen, gesellschaftlicher Wandel – Krisen betreffen uns alle. Doch nicht alle reagieren gleich – manche fühlen sich ohnmächtig, andere bleiben handlungsfähig und flexibel. Warum?
Natürlich gibt es objektive Unterschiede in Lebensrealitäten. Doch oft ist entscheidender: Welche Geschichte erzählen wir uns über die Situation?
Ist sie ein unüberwindbares Problem – oder eine Herausforderung, die wir Schritt für Schritt angehen können?
Ist sie der Beweis dafür, dass wir versagen – oder eine Gelegenheit, etwas Neues zu lernen?
Ist sie etwas, das „so nicht sein darf“ – oder etwas, das wir annehmen und aktiv gestalten können?
💡 Und genau hier beginnt Resilienz.
Resilienz wird oft mit „Aushalten“ verwechselt. Doch was, wenn sie in Wahrheit aus unserer inneren Haltung entsteht? Was, wenn sie weniger damit zu tun hat, wie stark wir sind – sondern mehr damit, wie wir auf die Dinge blicken?
👉 Warum das so ist und wie wir unsere innere Haltung bewusst verändern können, um unsere Resilienz zu stärken, schauen wir uns jetzt an.
Warum blockieren Bewertungen unsere Resilienz?
Unser Gehirn sucht Orientierung – es vereinfacht, indem es bewertet: „gut“ oder „schlecht“, „richtig“ oder „falsch“. Doch genau hier liegt die Falle: Jede Bewertung – ob positiv oder negativ – engt unseren Handlungsspielraum ein.

Negative Bewertungen – Wenn wir Chancen nicht mehr sehen
Wenn wir etwas als schlecht bewerten, lehnen wir es ab. Also kämpfen wir dagegen an.
👉 Unser Blick verengt sich. 👉 Wir sehen nur noch das Problem – aber nicht mehr die Möglichkeiten darin.
📌 Beispiel: Du hast eine Aufgabe geplant, aber am Ende des Tages ist sie nicht erledigt. Und dann setzt die innere Bewertung ein:
„Das hätte ich unbedingt schaffen müssen.“ „Jetzt bin ich hinter dem Zeitplan.“ „Ich bin nicht diszipliniert genug.“
💡 Was passiert hier? Deine Bewertung macht die Situation zu einem „Fehler“ – und bringt dich in den Widerstand: Es hätte anders laufen sollen.
Doch durch diesen Widerstand siehst du nicht mehr, dass: ✅ Das, was dazwischenkam, vielleicht gerade wichtiger war. ✅ Du aus dem Tag trotzdem etwas gelernt oder erreicht hast. ✅ Es eine Möglichkeit gibt, es morgen anders anzugehen.
Bewertungen machen den Tag „verloren“ – und verschließen die Tür zu Lösungen.
Die zwei typischen Reaktionen auf diesen Widerstand
Wenn wir eine Situation als „schlecht“ bewerten, bleiben uns meist nur zwei Wege:
1️⃣ Aufgeben – als hätte jemand die Stopptaste gedrückt. „Ich habe es nicht geschafft – also war der Tag umsonst.“ „Einmal nachgelassen – alles umsonst.“ 👉 Und plötzlich fühlen wir uns klein, unfähig, festgefahren.
2️⃣ Kämpfen – koste es, was es wolle. „Ich kann das nicht auf mir sitzen lassen – ich hole das jetzt nach.“ „Ich ziehe eine Nachtschicht durch, dann habe ich es wenigstens erledigt.“ 👉 Je verbissener wir kämpfen, desto schneller schwindet unsere Kraft.
Beide Wege führen zum gleichen Ergebnis: Wir lernen, dass das Leben zu viel ist. Mit jeder Schleife rückt unsere Belastungsgrenze näher – und Resilienz schwindet.
Wie sehr Bewertungen unseren Handlungsspielraum begrenzen können – und was passiert, wenn wir sie hinterfragen – zeige ich dir in einer persönlichen Geschichte am Ende des Artikels.
Positive Bewertungen – Wenn uns unsere eigenen Vorstellungen einengen
Genauso wie negative Bewertungen uns in den Widerstand treiben, können positive Bewertungen uns unfrei machen.
👉 „Perfekt“ darf sich nicht verändern. Neues? Lieber nicht. Risiken? Bloß vermeiden – selbst, wenn sie uns wachsen lassen würden.
📌 Beispiel: Die Angst vor VeränderungDu hast beruflich eine stabile Position und denkst „Das hier ist perfekt! – ich darf nichts falsch machen.“ Ein Jobangebot? Zu riskant. Eine wichtige Entscheidung? Besser alles so lassen, wie es ist. So wird Veränderung zur Bedrohung.
👉 Ein Ideal kann uns in die Enge treiben.
Jede Abweichung wird zum Problem, jede Hürde zur Störung. Und Menschen mit eigenen Ideen? Ein Umweg, der uns ausbremst.
📌 Beispiel: Wenn das Zielbild keinen Raum für Entwicklung lässt
Du weißt genau, wie dein nächstes großes Projekt aussehen soll – beruflich, privat, kreativ. In deinem Kopf ist das Zielbild perfekt. Eine neue Möglichkeit? Stört nur. Eine unerwartete Alternative? Passt nicht ins Konzept. Ein abweichender Vorschlag? Versteht einfach nicht, worauf es ankommt.
Egal, ob wir am Alten festhalten oder einer perfekten Zukunft hinterherlaufen – wir verlieren die Fähigkeit, flexibel zu bleiben. Und wenn uns keine Optionen mehr bleiben, fühlen wir uns ohnmächtig.

Was Resilienz bedeutet – und wie du sie stärken kannst
Resilienz ist nicht Härte, sondern Beweglichkeit – die Fähigkeit, mit dem umzugehen, was ist. Auch wenn es anders kommt als gewünscht. Resiliente Menschen bleiben nicht in einer starren Bewertung dessen stecken, was „sein sollte“ – sondern fragen sich:
🔹 „Was kann ich damit tun?“
🔹 „Welche Möglichkeiten habe ich noch nicht gesehen?“
🔹 „Wie kann ich mit der Situation arbeiten, statt dagegen?“
Wie du Bewertungen hinterfragst und deinen Handlungsspielraum erweiterst
Ohne Urteilsfähigkeit geht es nicht – wir brauchen sie, um kluge Entscheidungen zu treffen. Aber genau hier liegt der Unterschied: ob wir Situationen flexibel wahrnehmen oder sie in starre Kategorien von „gut“ und „schlecht“ pressen.
🔹 Bewertungen trennen die Welt in Gegensätze: „richtig“ oder „falsch“, „erfolgreich“ oder „gescheitert“. Sie engen unseren Blick ein und lassen oft nur zwei Möglichkeiten zu – gewinnen oder verlieren.
🔹 Urteilskraft hingegen erlaubt uns, die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten wahrzunehmen – mit all ihren Graustufen. Sie eröffnet Spielraum und macht uns handlungsfähig.
✨ Je weniger wir bewerten, desto freier können wir mit dem umgehen, was ist.
💡 Wie kannst du das für dich erfahrbar machen und deine Resilienz stärken?
Beobachte deine Sprache: Wann neigst du dazu, Situationen sofort zu bewerten?
Frage dich: Gibt es noch eine andere Perspektive?
Experimentiere mit einem offenen Blick: Statt „Das war schlecht“ → „Das war herausfordernd.“ Statt „Das ist perfekt“ → „Das fühlt sich für mich gerade stimmig an.“
✨ Eine kleine Übung, um weniger zu bewerten und mehr ins Handeln zu kommen: Nimm dir eine alltägliche Situation – eine Verspätung, eine unerwartete Wendung, eine Meinungsverschiedenheit – und betrachte sie, ohne sie sofort als „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen. Welche Möglichkeiten tun sich auf, wenn du nicht sofort eine Seite wählst?
Wie sich dein Blick auf die Welt verändert, wenn du Bewertungen loslässt
Kennst du das? Etwas läuft anders als geplant – und du ärgerst dich, kämpfst oder hältst krampfhaft daran fest.
Doch was, wenn du für einen Moment innehalten und einfach nur wahrnehmen würdest?
✨ Was, wenn nicht alles sofort eine Bedeutung haben müsste?
✨ Was, wenn du nicht bewerten, sondern einfach erleben könntest?
✨ Was, wenn du nicht kämpfen müsstest, sondern vertrauen könntest, dass sich neue Wege zeigen?
Resilienz beginnt dort, wo du Bewertungen loslässt – und Freiheit entdeckst.
💡 Eine kleine Einladung: Beobachte heute bewusst eine Situation, die dich normalerweise ärgern oder verunsichern würde. Statt sie sofort als „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten – halte inne. Nimm sie wahr, wie sie ist.
✨ Welche neuen Möglichkeiten siehst du, wenn du dich nicht von der ersten Bewertung leiten lässt?
✨ Wie würde sich dein Leben verändern, wenn du weniger bewerten – und mehr erleben würdest?
Ein Atemzug. Ein Moment ohne Urteil. Und plötzlich öffnet sich eine Tür, die vorher nicht da war.
Ein persönliches Beispiel: Als ich mich selbst blockierte
Vor ein paar Jahren war ich in einer Situation, in der gar nichts mehr ging. Ich steckte mitten in einem Entrümpelungsprojekt, doch meine Wohnung war ein einziges Schlachtfeld – und mein Akku vollkommen leer. Ich bekam meinen Alltag nicht in den Griff und war nach einem Burnout und einer Covid-Infektion nicht mehr in der Lage, einfach „weiterzumachen“.

Doch anstatt mir Mitgefühl entgegenzubringen, beurteilte ich mich selbst hart:
🔹 „Das darf nicht sein!“
🔹 „Ich bin ein Versager, weil ich es nicht schaffe, Ordnung zu halten!“
🔹 „Andere bekommen das doch auch hin!“
Diese Gedanken lähmten mich. Sie nahmen mir nicht nur Kraft, sondern raubten mir auch jede Möglichkeit, mit der Situation zu arbeiten. Ich schämte mich so sehr dafür, dass ich nicht funktionierte, dass ich mich immer weiter zurückzog – in der Hoffnung, meine Energie würde irgendwann einfach zurückkehren, wenn ich mich schone. Aber das geschah nicht.
Der Wendepunkt kam erst, als ich meine Bewertungen losließ. Als ich aufhörte zu kämpfen und akzeptierte:
✨ Vielleicht wird meine Energie nie wieder so sein wie früher.
✨ Vielleicht musste ich lernen, anders mit mir umzugehen.
✨ Vielleicht war mein Wert nicht daran geknüpft, was ich leistete.
Und mit dieser neuen Haltung öffneten sich plötzlich Handlungsspielräume. Ich begann, nicht mehr gegen meine Situation anzukämpfen, sondern mich zu fragen:
✨ Wie kann ich in meinem jetzigen Zustand gut für mich sorgen?
✨ Was ist eine machbare Kleinigkeit, die ich heute tun kann?
Anfangs war es nur eine Kleinigkeit am Tag: eine Sache wegwerfen, einer Kiste ins Gesicht blicken, einen Gegenstand an seinen Platz bringen. Kleine Schritte – aber sie kamen aus einer neuen inneren Haltung. Ich handelte nicht mehr aus Scham oder Druck, sondern aus Achtung vor meiner Kapazität. Es dauerte zweieinhalb Jahre, bis meine Wohnung in Ordnung war – aber dieses Mal auf eine Weise, die nachhaltig war und meine Resilienz stärkte.
💡 Was ich daraus gelernt habe:
Bewertungen hatten mich monatelang blockiert. Ich war im Widerstand gegen meine Realität und verlor dadurch jede Handlungsfähigkeit. Erst als ich mich von diesen starren Urteilen löste, konnte ich neue Wege finden, mit meiner Situation zu arbeiten – statt gegen sie.




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